Du hast 2021 mit Unterstützung des Kultusministeriums NRW und der Stadt Düsseldorf die Bürgerinitiative ZUHÖREN.DRAUSSEN gegründet. Was treibt Dich an?

Der Wunsch, etwas für die Gesellschaft zu tun. Im Lockdown sind wir alle in unsere jeweiligen Mikrokosmen abgetaucht und sozial verwaist. Aber auch unabhängig von der Pandemie gibt es ein großes Bedürfnis nach Zuwendung, danach, sich auszutauschen. 

Ich liebe Menschen!

Ich trage eine riesige Menschenliebe in mir, finde es immer wieder von Neuem faszinierend, wie wir geprägt sind, wie wir als Menschen agieren. Ich bin Facilitator und Prozessbegleiterin und habe in den vergangenen Jahren 18 internationale Großprojekte und mehr als 700 Veranstaltungen aus der Kultur, u.a. für die Berlinale, das Zurich Film Festival, RUHR.2010, FIFA und Unternehmen entwickelt und durchgeführt. Durch meinen Beruf und auf meinen Reisen durch 55 Länder durfte ich die unterschiedlichsten Menschen kennenlernen – von Künstler*innen über Politiker*innen bis hin zu Sozialarbeiter*innen und Pflegekräften. Mit ZUHÖREN.DRAUSSEN verfüge ich nun über ein weiteres Gefäß, das mit Geschichten gefüllt wird. Wir tauchen als Zuhörer*innen ein in andere Leben, erfahre etwas darüber, wie Menschen unterwegs sind, auch wie es früher war. Es ist unfassbar, was für Lebensweisheiten man gerade von älteren Menschen mit auf den Weg bekommt. Insofern ist Zuhören für beide Seiten ein Gewinn. 

Wenn Du Dir die Reaktionen anguckst: Warum ist das, was Ihr tut, dringend notwendig?

Die Menschen sind durchgerüttelt von Krisen aller Art: von der Pandemie über den Ukrainekrieg hin zur Energiekrise. Wir sind meines Erachtens überfordert von der Komplexität der Informationen, die rund um die Uhr auf uns einrauschen. Wir alle sehnen uns danach, ganz normale zwischenmenschliche Begegnungen zu haben – wertschätzend, unvoreingenommen und ohne Hintergedanken. Es ist ein urmenschliches Bedürfnis, in Verbindung zu sein. Sich geliebt, gehört, zuge-hör-ig zu fühlen. Bei unseren Zuhör-Aktionen erleben wir eine immense Dankbarkeit der Leute, denen wir Zeit und ein offenes Ohr schenken.

Warum hört ihr draußen zu?

Das Publikum auf öffentlichen Plätzen bildet die ganze Bandbreite der Gesellschaft ab. Es kommen Spaziergänger*innen vorbei, Senior*innen, Arbeitslose, Obdachlose, Tourist*innen, alleinerziehende Mütter … Sie sind sehr überrascht, wenn sie auf jemanden treffen, der Lust hat, ihnen einfach zuzuhören. Wir hören draussen zu, weil jeder von uns zu sehr in seiner „Blase“ – seinem beruflichen Umfeld, seinem Familien- und Freundeskreis und seinem Stadtviertel – verhaftet ist. Es geht darum, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, denen man normalerweise nicht begegnen würde. 

Viel zu selten fragt uns jemand einfach mal: „Wie geht es Dir?“

Wie kommt Ihr mit den Passant*innen in Kontakt?

Wir halten Schilder mit der Aufschrift „Ich höre Dir zu“ hoch. Jeder Dritte spricht uns an – und die erste Frage an uns lautet immer: Kommt ihr von der Kirche? Oder seid ihr eine politische Initiative? Wenn wir erklären, dass wir eine Bürgerinitiative sind, sind die Passant*innen offener und schenken uns ihr Vertrauen. 95 Prozent sagen: Großartig, was ihr macht – es wird überhaupt nicht mehr zugehört in unserer Gesellschaft! Alle senden nur noch, wir unterhalten uns gar nicht mehr. Und das stimmt wirklich. Viel zu selten fragt uns jemand einfach mal: Was machst Du denn im Moment so, was beschäftigt Dich, wie geht es Dir? 

In welchen Situationen hättest Du Dir selbst jemanden gewünscht, der Dir zuhört?

Ich habe vier ältere Geschwister – da war immer jemand, der ein offenes Ohr für die „Kleine“ hatte. Auch von meinen Powereltern, die eine Firma führten und viel gearbeitet haben, bekam ich viel Unterstützung. Dann habe ich mir Lehrer*innen gesucht, die offen für Austausch waren. Und auch als Führungskraft hatte ich immer jemanden zum Reden. Ich reflektiere viel mit meinem Mann oder mit guten Freund*innen. Bei ZUHÖREN.DRAUSSEN überlegen die Ehrenamtlichen gemeinsam mit mir, was gut läuft, was der nächste Schritt sein soll – das ist ein kollaborativer Prozess, in den sich jede/r einbringen und mehr Verantwortung, z.B. für einen Stadtteil übernehmen kann. Ich habe das Glück, tolle Menschen um mich herum zu haben. Einsam war ich nur ein einziges Mal im Leben: in meinem ersten Studienjahr in Köln. Deshalb arbeiten wir jetzt auch mit den Universitäten in Düsseldorf zusammen.

Ich bin die Lokomotive, doch für den Erfolg braucht es eine ganze Mannschaft 

Welche Eigenschaften braucht man, um ein Projekt wie ZUHÖREN.DRAUSSEN auf die Beine zu stellen?

Ich bin pragmatisch und sehr verbindlich. Wenn ich etwas vorhabe, ziehe ich das mit allen Konsequenzen durch. Und ich habe das große Glück, dass ich mit meiner Begeisterung andere Menschen anzünden kann. Gemeinsam mit Dieter Kosslick habe ich das Konzept für die „Berlinale Talents“ entwickelt, heute eines der wichtigsten Aushängeschilder der Berlinale. Für das Talentförderprogramm für junge Filmemacher*innen gibt es heute jährlich 6000 Bewerber*innen aus 150 Ländern. Ich habe Pioniergeist, bin sehr innovativ. Das Bild der Lokomotive passt sehr gut auf mich: Ich entwickle eine Idee, kümmere mich um das Konzept, die Unterstützer und die Finanzierung. Ich lege die Gleise und treibe es Projekt mit viel Energie und voller Kraft voran. Aber auch, wenn ich am Anfang die Lok bin: Es gehört immer eine ganze Mannschaft dazu, damit ein Projekt wie ZUHÖREN.DRAUSSEN langfristig erfolgreich ist. Hinzu kommt, dass ich in Düsseldorf mittlerweile gut vernetzt bin und mit ZUHÖREN.DRAUSSEN bei unseren Kooperationspartner*innen auf offene Türen gestoßen bin.

Hörst Du im privaten und beruflichen Kontext bewusster zu, seit du dich in diesem Kontext ehrenamtlich engagierst?

Früher war ich eine miserable Zuhörerin, weil es mir an Zeit gefehlt hat. Das ist das Dilemma von Führungskräften, das alles zickizacki gehen muss und man nur im Problem-Lösungs-Modus denkt. Aber es macht schlichtweg total Sinn, sich in aller Ruhe anzuhören, was andere vorschlagen: die Mitarbeitenden, die Kooperationspartner*innen. Seit meinem Engagement bei ZUHÖREN.DRAUSSEN höre ich den Kund*innen meines Unternehmens Change Animal erst mal ganz lange zu, und frage viel nach, bevor ich mit methodischen Ansätzen komme. Das ist mein persönlicher Change und ich lerne täglich dazu.

Wie hat die Initiative ZUHÖREN.DRAUSSEN deinen Alltag verändert?

Ich war immer überregional oder international tätig – jetzt arbeite ich durch mein Ehrenamt 1 Tag die Woche plötzlich auch lokal. Ich lerne meine Heimatstadt ganz neu kennen und habe sie dadurch noch mehr liebgewonnen. Es ist beispielsweise grandios, dass wir hier 32 Seniorencafés haben. Gemeinsam mit anderen Institutionen für Nähe und Verbindung zwischen den Menschen aller Generationen, Milieus und Schichten in Düsseldorf zu sorgen, erfüllt mich sehr.