Die Informationsflut bringt es zwangsläufig mit sich, dass Menschen einander nicht mehr zuhören. Sie haben eine Art Mitteilungsdrang, sind gar nicht daran interessiert, was der andere dazu zu sagen hat. Unsere Beziehungen werden nur noch von dem Bedürfnis bestimmt, gesehen zu werden. Das hat zur Folge, dass es kaum noch Menschen gibt, die wirklich bewusst zuhören, was der andere sagt oder in den sozialen Medien schreibt.

In dem Augenblick, wo ich wieder lerne zuzuhören, lasse ich mich auf den anderen ein. Ich kann als Zuhörer den anderen nicht zum Objekt machen, aber ich kann als Redner den anderen ständig zum Objekt meiner Vorstellung, meiner Absichten, meiner Ziele, meiner Belehrungen und meiner Bewertung machen. Deshalb ist das Zuhören sozusagen eine Eintrittspforte, wo man solche Beziehungen zwischen Menschen, die inzwischen mehr oder weniger Objekt- Beziehung geworden sind, wieder aufschließen kann. Indem man zuhört, zeigt man sich als Subjekt und gibt dem anderen die Möglichkeit, sich selbst auch als Subjekt zu erleben, nämlich gehört zu werden. Es ist ähnlich wie das Lächeln. Sie können jemanden anlächeln und dann zeigen Sie sich als Subjekt. Und was Sie dafür bekommen, ist ein Lächeln von dem anderen, weil dem eigentlich kaum jemand widerstehen kann, dass er endlich mal gesehen wird und dass ihm jemand ein Lächeln schenkt. Und so wird das mit dem Zuhören auch sein.

Man kann dem ein oder anderen sicherlich helfen, sich selbst besser zu verstehen, indem man ihm Gelegenheit gibt, sich selbst zu erklären. Man muss nicht immer Rat wissen und sagen, wo es lang geht. Es reicht manchmal, dass Menschen Gelegenheit bekommen, sich auszudrücken, ihr Problem zu schildern. Häufig finden sie die Lösung dann schon allein, weil es ihnen plötzlich ins Bewusstsein rückt, was schiefläuft. Und wenn ihnen keiner zuhört, dann geschieht das eben nicht.Wenn Menschen sich nicht mehr richtig zuhören, wenn Informationen so verbreitet werden, dass keiner mehr unterscheiden kann, ob was richtig oder falsch oder wichtig oder unwichtig ist, dann läuft ein System tot. Es kann sein, dass wir aus diesem Grund jetzt in so schwere gesellschaftliche Krisen geraten, eine nach der anderen, weil nicht nur unser Wirtschaftssystem nicht stimmt, sondern weil auch die Art und Weise, wie wir unsere Beziehung gestalten, sehr fragwürdig ist. Da versuche ich, mit der Akademie für Potential-Entfaltung anzusetzen. Potential-Entfaltung geht ja niemals allein, es braucht immer andere dazu.

Gerald Hüther ist Neurowissenschaftler an der Akademie für Potentialentfaltung